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Für zahlreiche Unternehmen, die davon abhängig sind, dass Verbraucher ihr Geld außer Haus ausgeben, hatte die durch die Coronakrise und die Beschränkungen des öffentlichen Lebens verursachte Wirtschaftskrise verheerende Folgen. Doch trotz der enormen Schuldenberge der Unternehmen und des rückläufigen Konsums haben die Renditespreads bei Unternehmensanleihen gegenüber den sogenannten „risikolosen“ Zinsen (außer bei zyklischen Titeln und Immobilienwerten) innerhalb von fünf Monaten fast wieder ihr Vorkrisenniveau erreicht. Geht man davon aus, dass die Märkte rational agieren, würde das bedeuten, dass die Anleger trotz der hohen Verschuldungsquote der Unternehmen und der aktuell schwachen Wirtschaftsleistung eine mindestens ebenso gute Wirtschaftsentwicklung erwarten wie vor der Krise. Außerdem haben die risikolosen Zinsen für Staatsanleihen aus den USA und aus Deutschland ihren Tiefpunkt erreicht, sodass Unternehmensanleihen seit April eine positive Wertentwicklung verzeichneten. Diese paradoxe Situation wurde im Wesentlichen durch das massive Eingreifen der Zentralbanken und auch durch staatliche fiskalpolitische Maßnahmen verursacht, die dadurch die Unternehmen unterstützen und den Konsum wieder ankurbeln wollten.

Expansive Geldpolitik kommt emittierenden Unternehmen zugute

In Europa hat die EZB die Leitzinsen eingefroren, um die Renditen von Staatsanleihen der Mitgliedstaaten so niedrig wie möglich zu halten. Darüber hinaus hat sie ihr Anleihekaufprogramm („Quantitative Easing“ oder „Quantitative Lockerung“) vor allem auf Anleihen von Nicht-Finanz-Unternehmen ausgeweitet. In der Folge hält sie derzeit über 20 % der im Umlauf befindlichen Anleihen von Unternehmen, die für EZB-Investitionen in Frage kommen („Investment Grade“-Anleihen von Nicht-Finanz-Unternehmen im Euroraum).

CSPP-Programm der EZB 2020

Quelle: Europäische Zentralbank

Auch die US-Notenbank hat zusätzlich zu einer drastischen Senkung der Leitzinsen (von 1,75 % auf 0,25 % im März) ein Programm zum Ankauf risikobehafteter Anleihen aufgelegt.

In diesem günstigen Umfeld konnten zahlreiche Unternehmen Anleihen begeben, um erstens ihren Liquiditätsbedarf zu decken und zweitens sich zu attraktiven Zinssätzen zu refinanzieren. Die nachstehende Abbildung stellt die innerhalb eines Jahres ausgegebenen Unternehmensanleihen dar.

Emittierte Anleihen (Bruttoemissionen, nach Währung)

Quelle: Bloomberg

Der Markt für auf Euro lautende Anleihen war deutlich weniger aktiv als für Titel in US-Dollar und Yuan, denn die risikolosen Zinsen in Europa blieben während der Krise fast auf gleichem Niveau (die EZB hat ihre Leitzinsen nicht verändert). Dennoch reagierten die Unternehmen auf den Liquiditätsdruck mit zusätzlichen Emissionen in Euro, und Unternehmensanleihen aus Schwellenländern folgten dem Trend in den Industrieländern. Allerdings legten die Schwellenländer keine derart expansiven Konjunkturprogramme auf und verfolgten somit eine gänzlich andere Geld- und Fiskalpolitik als die Industrieländer.

Wirtschaftliche Erholung: ein Kurswechsel?

Die hohe Volatilität der Märkte im September folgt einer simplen Feststellung: Auch die umfangreichen Geldspritzen in Form von Unternehmensanleihen zur Konjunkturförderung werden für eine Bewältigung der Pandemie nicht ausreichen. In einigen Regionen hat die zweite Infektionswelle bereits begonnen, anderen steht sie noch bevor. Die V-förmige Erholung der Wirtschaft ist in Gefahr, und in den Industrieländern hat sie an Dynamik verloren – innerhalb der einzelnen Regionen und Branchen sind große Unterschiede festzustellen. Technologiefirmen und der Onlinehandel konnten von dieser Krise profitieren, indem sie ihre neuesten Entwicklungen beschleunigten und die Abhängigkeit der Endverbraucher weiter erhöhten. Am anderen Ende der Skala stehen zyklische Sektoren wie die Reisebranche, der Einzelhandel oder die Gastronomie – sie befinden sich in einer schwierigen Lage. Sie hatten hohe Einbußen und können ihre Geschäfte nur fortführen, wenn sie kurzfristig über ausreichend Liquidität verfügen und es auf mittlere bis lange Sicht schaffen, ihre Zahlungsfähigkeit zu erhalten. Das wirtschaftliche Umfeld ist sicher ein wichtiger Grund für das Kreditrisiko dieser Branchen – allerdings darf man auch das Bilanzrisiko nicht vernachlässigen, das mit diesen Geschäftsfeldern verbunden ist.

Unternehmen mit einem traditionellen Geschäftsmodell, das von der Anwesenheit der Verbraucher lebt, haben es derzeit schwer, Prognosen für ihre Zukunft anzustellen. Darunter leidet zudem die gesamte Lieferkette. Kapitalintensive Unternehmen müssen Investitionen zurückfahren, Vermögenswerte verfrüht verkaufen und auf Liquiditätsreserven zurückgreifen, um ihre Verluste auszugleichen. Dies führt zu Umstrukturierungen, bei denen Planungen zusammengestrichen werden, um die Betriebskosten so weit wie möglich zu senken – auch durch Personalabbau. Beispiele für diese Entwicklung gibt es derzeit viele: Airbus, Boeing, Renault, BMW, Continental, Valéo und Air France sind nur einige davon.

Was bedeutet das für Anlagen in Unternehmensanleihen?

Diese Überlegungen wirken sich unterschiedlich auf die Geldanlage in Unternehmensanleihen aus. In den Industrieländern besteht zwar kein unmittelbares Zinsrisiko; weil aber immer wieder lokale Einschränkungen angeordnet werden, die der wirtschaftlichen Erholung die Dynamik nehmen, ist das Kreditrisiko mehr als präsent. Kurzfristig wird es zwar von der Unterstützung der Zentralbanken übertüncht, aber mittel- und langfristig ist die Betriebsfähigkeit und letztendlich die Zahlungsfähigkeit der Unternehmen in Gefahr. Ein Beispiel hierfür ist die Indigo-Gruppe: Der Konzern betreibt weltweit Parkplätze und ist hoch verschuldet (81 % der Passiva im Geschäftsjahr 2019), die EBITDA-Marge ist angesichts der geringen Zinslast klein, und der Betrieb ist durch die Coronakrise gefährdet. Die Zahlungsfähigkeit ist also ein zentraler Aspekt bei der Entscheidung über eine Anlage in ein Unternehmen.

Bei Schwellenländertiteln liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Fundamentalanalyse. Gleichzeitig ist hier das Zinsrisiko höher und der Anlagehorizont somit kürzer als der Marktdurchschnitt. Trotz historisch niedriger Zinsen sind die Renditen bei manchen Unternehmen aus Schwellenländern noch immer hoch, weil die Kreditrisikoaufschläge höher ausfallen als bei Unternehmen aus Industrieländern. An diesen Märkten gibt es daher noch immer Werte mit einem attraktiven Risiko/Rendite-Verhältnis. Durch den engeren Spread zwischen europäischen und US-Staatsanleihen besteht zudem die Möglichkeit, zur Absicherung des Dollar-Währungsrisikos zu interessanten Konditionen in Emittenten aus Schwellenländern zu investieren, die nur Emissionen in US-Dollar anbieten. Beispiele hierfür sind Transelec oder Colbun, zwei chilenische Elektrizitätsunternehmen, die attraktive Rendite bei solidem Finanzprofil bieten.

Und die Nachhaltigkeit?

ESG-Kriterien (Umweltschutz, Soziales und Governance) werden immer wichtiger, und Unternehmen von morgen müssen diese Themen selbstverständlich in ihr Geschäftsmodell aufnehmen. Aus unserer Sicht müssen ESG-Kriterien bei Geldanlagen systematisch berücksichtigt werden, denn dadurch verringert sich langfristig das mit einem Unternehmen verbundene Risiko. Durch die Coronakrise ist das Risiko bei privaten Emittenten gestiegen und hat die Einbeziehung von ESG-Kriterien beschleunigt. Ziel ist es hier vor allem, das langfristige Risiko zu verringern und somit das Portfolio an Überzeugungen anzupassen, die sowohl finanzielle wie auch nichtfinanzielle Aspekte berücksichtigen.

Für Nachhaltigkeit gibt es keine institutionellen Standards, daher bietet dieses Konzept viel Interpretationsspielraum. Die Europäische Union erstellt derzeit eine Taxonomie, die den Beitrag der verschiedenen Wirtschaftszweige zu der Umstellung des Energiesektors definieren soll. Wie die Atomenergie dabei eingestuft werden soll, ist noch unentschieden, denn sie liefert zwar große Mengen an CO2-freier Energie, stellt aber ein großes Sicherheitsrisiko dar. Und was ist mit umstrittenen Emittenten wie Volkswagen, die grüne Anleihen ausgeben? Unter ESG-Gesichtspunkten macht VW zwar keine gute Figur; das Unternehmen bemüht sich aber mit grünen Finanzierungen um eine nachhaltigere Produktion und nachhaltigere Produkte (Herstellung und Vertrieb von Elektrofahrzeugen fallen unter die nachhaltigen Entwicklungsziele [1] Nr. 11 und 13). Die aktuelle ESG-Situation von Volkswagen muss also vor dem Hintergrund seiner Vision für die Zukunft und der Anstrengungen betrachtet werden, die das Unternehmen zur Umsetzung dieser Vision unternimmt (zum Beispiel über die Emission grüner Anleihen).

Ausblick

Wir haben die weltweite Situation der vergangenen Monate untersucht und legen nun unsere Erkenntnisse zum allgemeinen Zustand der Unternehmensverschuldung dar. Trotz vieler Zweifel an den Aussichten für Unternehmen bleiben einige Elemente gewiss:

  • Das Kreditrisiko für die Schulden eines Unternehmens und dessen Vergütung ergeben sich aus der Ausfallwahrscheinlichkeit und den Verlusten bei Zahlungsunfähigkeit. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob ein Unternehmen ausreichend Cashflow generieren kann, um seine Schulden und die damit verbundenen Ausgaben zu bezahlen. Im derzeitigen schwachen Marktumfeld tendieren die Märkte dazu, dieses Risiko insgesamt zu unterschätzen, dabei ist die allgemeine Verschuldung der Unternehmen gestiegen, und sie sind nicht in der Lage, mehr Cashflow zu generieren. Zwangsläufig wird es zu einer Korrektur kommen, wenn ein Unternehmen seinen Betrieb nicht mehr aufrechterhalten kann und/oder die Zinsen steigen.
  • Die Schulden, die Unternehmen zur Finanzierung ihres Wachstums aufgenommen haben, werden in einer Rezession zum Risiko. Defensive Sektoren, Basiskonsumgüter und Energie (ohne Ölprodukte) sind daher in der aktuell vorherrschenden Konjunktur zu bevorzugen.
  • Schwellenländer weisen stärkeres Wachstumspotenzial auf als Industrieländer. Angesichts der aktuell rückläufigen Wirtschaftsaktivität könnten sich Schwellenländer-Unternehmen mit soliden (finanziellen und nichtfinanziellen) Fundamentaldaten langfristig als resilienter erweisen.
  • Unternehmen sind zunehmend bereit, ihr Geschäftsmodell nachhaltiger zu gestalten, um den aktuellen ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Dieser Trend ist keine kurzfristige Modeerscheinung mehr. Unternehmen und Anleger müssen künftig diese neue Realität in vollem Umfang in ihre Entscheidungen einbeziehen, um mit den behördlichen Vorschriften und den gesellschaftlichen Zielen von morgen Schritt zu halten. Diese Überlegungen wirken sich schon heute auf grüne Anleihen aus. Sie werden mit einem Nachhaltigkeitsaufschlag („Greeniumׅ“) gegenüber vergleichbaren traditionellen Papieren gehandelt.

Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, bei Anlagen in Unternehmensanleihen Überzeugungen zugrunde zu legen, die sowohl finanzielle Fundamentaldaten als auch Nachhaltigkeitsdaten berücksichtigen.

 

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[1] United Nations Sustainable Development Goals. Weitere Informationen: https://www.un.org/sustainabledevelopment/.

Jean-Albert Carnevali

Jean-Albert Carnevali, Corporate Fixed Income Analyst

Jean-Albert kam als Analyst für Unternehmensschulden zu BLI, nachdem er einen Master-Abschluss in Management an der Emlyon Business School (Frankreich) und zuvor einen Abschluss als Wirtschaftsingenieur bei Hénallux (Belgien) erworben hatte.

Während seines Managementstudiums spezialisierte sich Jean-Albert auf Unternehmensfinanzierung und -strategie. Während seines akademischen Austauschs an der Universität St. Gallen (Schweiz) begann er, sich für die Anwendung von Fallstudien zum Thema "Maschinelles Lernen" zu interessieren.

 

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