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Risiko, Volatilität und Rendite sind drei in der Finanzwelt häufig assoziierte Begriffe. Diese Verbindung geht auf eine in Fachkreisen weit verbreitete akademische Finanztheorie zum Portfoliomanagement zurück, die die Volatilität als Risikomaß nutzt. Damit wird jedoch die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Risiko einer Anlage, nämlich dem Verlustrisiko, abgelenkt.

Risikoaversion

Das Funktionieren der Finanzmärkte basiert auf einem alten Verhaltensmuster der Menschen, nämlich derRisikoaversion. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Mensch einen relativ sicheren, geringeren Gewinn einem größeren, aber vom Zufall abhängigen Gewinn vorzieht: „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach."

Übertragen auf die Finanzmärkte führt die Risikoaversion dazu, dass das Risiko eines Wertpapiers (financial asset) in Bezug zu seiner erwarteten Rendite gesetzt wird: Um das zusätzliche Risiko des Anlegers auszugleichen, muss eine riskantere Anlage eine höhere erwartete Rendite bieten, wenn sie Investitionen anziehen soll. Die nachstehende Grafik veranschaulicht diesen Zusammenhang.

Betrachtung durch die Wissenschaft

Da das Risiko einer der wesentlichen Parameter ist, die im Anlageprozess beurteilt werden, besteht seitens der Wissenschaft großes Interesse an der Erforschung des Risiko/Rendite-Verhältnisses. Sie versucht, die Börsenrendite zu verstehen und Wege zur Optimierung der Portfolioverwaltung aufzuzeigen.

Die Wirtschaftswissenschaftler der Universität Chicago befassen sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts mit diesem Thema und gelten als führend. Von der Chicagoer Schule wurde ein Risikomaß definiert, das die Grundlage bildet für eine globalere Theorie der Portfolioverwaltung sowie für die Schätzung der erwarteten Rendite eines Wertpapiers in Abhängigkeit vom Risiko. Dieser theoretische Rahmen ist zwar nicht unumstritten, wird aber häufig zitiert und noch heute in Wissenschaftlerkreisen und von institutionellen Anlegern angewandt.

Im Rahmen ihrer Forschungen hat die Chicagoer Schule die Volatilität eines Wertpapiers als Risikomaß identifiziert: Sie bildet die Verteilung der beobachteten Renditen eines Wertpapiers um den Durchschnitt ab und soll die Unzuverlässigkeit der künftigen Rendite der Anlage widerspiegeln. Nach dieser Logik müsste das Risiko eines Wertpapiers analog zur Volatilität ansteigen – und die erwartete Anlegerrendite parallel zum Risiko nach oben klettern.

Harry Markowitz hat ausgehend von dieser Beziehung zwischen Risiko und Volatilität die Moderne Portfolio-Theorie (1952) entwickelt. William Sharpe führte Markowitz' Arbeit neben anderen fort und entwickelte das Preismodell für Kapitalgüter CAPM (capital asset pricing model; 1964).

Markowitz' Ansatz geht von der Idee aus, dass Anleger kohärente Entscheidungen fällen und deshalb das Portfoliorisiko (= die Volatilität) minimieren müssen, um die gewünschte Rendite zu erzielen. Angesichts der zahlreichen Wahlmöglichkeiten am Markt müssen Anleger die Kovarianzen zwischen verschiedenen Wertpapieren mit identischer Renditeerwartung nutzen, um die Portfoliovolatilität einzudämmen. Die Portfoliostreuung über eine Vielzahl von Wertpapieren mit geringer Korrelation ermöglicht eine Senkung der Volatilität, ohne dass die potenzielle Rendite geschmälert wird. Markowitz' Theorie postuliert also eineDiversifizierung der Anlagen in einem sehr weiten Sinne als Grundsatz des Portfolioaufbaus und der Risikosteuerung.

Das CAPM forciert und formalisiert diese Überlegung durch die Einführung der erwarteten Rendite des Wertpapiers. Wenn es – wie von Markowitz gefordert – möglich ist, ein effizientes Portfolio aufzubauen, das das Risiko des einzelnen Wertpapiers (seine Volatilität) minimiert beziehungsweise sogar eliminiert, würde sich eine Vergütung erübrigen. Das CAPM sieht deshalb vor, dass die erwartete Rendite eines Wertpapiers einzig von der Volatilität im Vergleich zum Markt abhängt, das heißt dem systemischen Risiko, das sich nicht durch Streuung eliminieren lässt. Das Risikoniveau eines Wertpapiers könnte folglich allein anhand des systemischen Risikos und seiner Volatilität im Vergleich zum Markt bestimmt werden: Ein riskanteres Wertpapier würde die Bewegungen des Marktes verstärkt abbilden, während ein weniger riskantes Wertpapier die Marktbewegungen abgeschwächt nachvollzieht.

Realitätsferne Hypothesen

Die Tatsache, dass die Märkte einem erratischen Auf und Ab unterliegen, untermauert die Theorie der Chicagoer Schule. Ihre Achillesferse dürften dagegen ihre Arbeitshypothesen sein, die kaum der Realität entsprechen.

Erstens stellt die alleinige Begrenzung des Risikos eines Wertpapiers auf die Volatilität eine übermäßige Reduzierung der Anlagerealität und der Komplexität der Finanzmärkte dar. Die Entscheidung für dieses sehr theoretische Risikokonzept erleichtert den Einsatz der Statistik und die Erstellung mathematischer Modelle, um die Börsenrenditen zu untersuchen. Denn die Volatilität wird zu einer Variablen, die sich ausgehend von realen, objektiven und historischen Daten einfach berechnen lässt – und das Risiko einer Anlage wird zu einer leicht interpretierbaren Zahl synthetisiert. In der praktischen Anwendung zeigen sich jedoch Unstimmigkeiten:

  • Ein plötzlicher Volatilitätsanstieg indiziert nicht ipso facto, dass ein Wertpapier riskanter geworden ist. Eine Aktie, deren Kurs linear von 30 € auf 100 € ansteigt, würde als kaum riskant gelten. Käme es zu einem plötzlichen Kurseinbruch von 100 € auf 50 €, wäre ihr Risiko nach dieser Theorie gestiegen.
  • Die Heranziehung der historischen Volatilität als Risikomaß kommt einer Extrapolation der Vergangenheit gleich. Unternehmen wird ein statischer Zustand unterstellt – weder der Fortschritt der Produktionsmittel noch die Entwicklung der Märkte finden Berücksichtigung.
  • Das systemische Risiko reflektiert nicht das künftige Verhalten eines Wertpapiers in unterschiedlichen Marktphasen: In einem steigenden Markt registrieren Aktien mit hohem systemischen Risiko nicht automatisch eine Outperformance.

Zweitens muss die Chicagoer Schule – als Voraussetzung für ihren Ansatz – die Fehleinschätzung zugrunde legen, dass sich Börsenrenditen durch eine Normalverteilung beschreiben lassen, das heißt durch eine statistische Verteilung, bei der eine symmetrische Verteilung um den Durchschnitt angenommen wird und Extremereignisse kaum vorkommen.

Drittens basiert die Theorie auf der These der Markteffizienz. Diese unterstellt, dass Anleger auf einem großen Markt, auf dem sich Nachrichten sofort verbreiten, augenblicklich und identisch auf Informationen reagieren und sämtliche Wertpapiere zu jedem Zeitpunkt fair bewertet werden. Dies steht nicht im Einklang mit dem Preisbildungsprozess, der auf Wechselwirkungen menschlichen Handelns und den damit verbundenen kognitiven und emotionalen Fehlern basiert.

Zahlreiche Experten und Theoretiker (z.B. der Mathematiker Benoît Mandelbrot, der Finanzphilosoph Nassim Taleb, Charlie Munger von Berkshire Hathaway) haben die Stichhaltigkeit dieses Ansatzes deshalb in Frage gestellt. Eugene Fama, Mathematiker und einer der Väter der Effizienzmarkthypothese, räumt ein, dass sich die erwarteten Ergebnisse nicht eingestellt haben.

Negative Konsequenzen

Dennoch: Aufgrund des stabilen, starken und intuitiven Arbeitsrahmens, den diese Theorie bietet, sowie der zahlreichen Maßnahmen, um die Anfangsschwächen zu beheben, fand sie unter institutionellen Anlegern sehr weite Verbreitung.

Aus empirischer Sicht kann das Festhalten an der Theorie der Chicagoer Schule und an der Volatilität als Risikomaß eher negative direkte und indirekte Auswirkungen auf das Managen eines Aktienportfolios haben:

  • Dem Marktindex wird eine tragende Rolle zugewiesen: Für den Anleger wird er zum Eckpunkt, zur Referenz für das optimale Chance/Risiko-Profil. Häufig definiert er das Anlageuniversum des Investors.
  • Eine breite Streuung des Portfolios gilt als Standard; das Engagement in einem bestimmten Marktsegment ist wichtiger als das Verstehen der Variablen, die einen Einzeltitel beeinflussen.
  • Beim Management mit Indexbindung ergeben sich die Branchen- und Länderallokationen des Portfolios aus temporären Abweichungen von einem Index.
  • In vielen Fällen basieren sie auf kurz- bis mittelfristigen Makro- und Finanzszenarien, mit denen dieMarktentwicklung antizipiert wird, um die Exposition des Portfolios in bestimmten Marktsegmenten zu erhöhen oder zu reduzieren. „Risk-on"- und „Risk-off"-Strategien bezeichnen beispielsweise häufig ein Management des systemischen Risikos, um die Sensibilität des Portfolios zu erhöhen (Antizipation steigender Märkte) oder zu reduzieren (Antizipation fallender Märkte). Solche Antizipationen der Konjunktur oder der Finanzmärkte sind sehr gefährlich, weil die Wahrscheinlichkeit übermäßig steigt, dass Fehlentscheidungen getroffen werden und unerwartete, signifikante Bewegungen das Portfolio belasten.

(Fortsetzung folgt)

Ivan Bouillot, Equity Fund Manager

Nach einer zweijährigen Erfahrung als Portfoliomanager und Investmentberater bei der Banque Degroof Luxembourg kam Ivan 2000 als Finanzanalyst für europäische Aktien zur Banque de Luxembourg. Seit 2004 zeichnet er für das Management von europäischen Aktieninvestments für die Fonds der Bank verantwortlich. Ivan verfügt über einen Abschluss in Handel und Finanzen der Hochschule ICHEC, Brüssel. Zudem besitzt er die beiden Finanzanalysten-Abschlüsse CEFA (seit 2000) und CFA (seit 2006).

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