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Das Jahr 2021 begann an den Aktienmärkten mit großem Optimismus. Die Anleger gehen für das neue Jahr von einer wirtschaftlichen Erholung und steigenden Unternehmensgewinnen aus. Gleichzeitig erwarten sie, dass die Notenbanken großzügig und die Zinsen niedrig bleiben.

Ein solches Zusammenspiel positiver Faktoren wäre für die Aktienkurse zweifellos günstig. Entsprechend lassen sich umgekehrt auch die größten Risiken für die Aktienmärkte ableiten:

  • dass nämlich die Wirtschaftserholung ausbleibt oder nicht so stark ausfällt wie erwartet;
  • dass die Notenbanken ihren Kurs ändern und eine striktere Geldpolitik einleiten;
  • dass die Notenbanken ihre expansive Politik zwar fortsetzen, die Anleiherenditen aber steigen.

Das zweite Risiko scheint mir vernachlässigenswert. Die beiden anderen Risiken jedoch sind nicht von der Hand zu weisen. Die völlige Wiederöffnung der Wirtschaft scheint in den meisten Ländern derzeit noch in weiter Ferne. Und selbst, wenn die Wirtschaft wieder öffnet, ist es alles andere als sicher, dass die Wirtschaftsakteure nichts Eiligeres zu tun haben werden, als all die Ausgaben nachzuholen, die sie 2020 nicht tätigen konnten. Mit anderen Worten: Die Erholung könnte tatsächlich enttäuschend ausfallen. Was das Risiko steigender Anleiherenditen trotz expansiver Geldpolitik betrifft, muss man feststellen, dass genau dies bereits seit einigen Wochen geschieht. In den USA ist die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen seit Jahresbeginn von 0,9 % auf 1,2 % gestiegen. Dieser Anstieg spiegelt wider, dass der Markt eine Konjunkturerholung, mittel- und langfristig aber auch mehr Inflation erwartet. Bisher ist dieser Anstieg noch zu gering, als dass er die Aktienmärkte beunruhigen könnte. Sollte er aber anhalten, könnte sich das ändern.

Rendite der zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihe

Quelle: Bloomberg

Das Jahr 2020 hat einmal mehr gezeigt, wie müßig die Prognosen sind, die in schöner Regelmäßigkeit zum Beginn eines neuen Jahres abgegeben werden. Dass eine Pandemie die gesamte Weltwirtschaft in die Krise treiben würde und die Aktienkurse um etwa 40 % abstürzen könnten, gehörte Anfang 2020 sicherlich nicht zu den Szenarien der Strategen. Genauso wenig haben nur die wenigsten Strategen im März vorausgesehen, dass viele Aktienmärkte das Jahr trotz allem mit positiven Ergebnissen beenden würden. 

Aus diesem Grund scheint es mir sinnvoller, sich nicht auf kurzfristige Trends der Märkte zu konzentrieren, sondern vielmehr auf das strukturelle Gesamtbild und dessen potenziellen Auswirkungen auf Anlageentscheidungen.

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es in den meisten Industriestaaten unmöglich geworden ist, nominales Wachstum in einem solchen Maße zu erzielen, wie es notwendig wäre, um das System stabil am Laufen zu halten. In den meisten Industriestaaten ist das Verhältnis von Verschuldung zu Bruttoinlandsprodukt heute historisch hoch – und das auch ohne Berücksichtigung von nicht gedeckten Pensionszusagen. Der beste Weg aus der Sackgasse wäre eine starke Steigerung des Nenners im genannten Quotienten (Verschuldung zu BIP). Das Bruttoinlandsprodukt müsste also stark wachsen – ganz so, wie in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals war die Bevölkerung jedoch im Durchschnitt jünger und der Wiederaufbaubedarf enorm. Heute ist die Situation eine völlig andere. Seit der Finanzkrise versuchen die Notenbanken daher, das nominale Wachstum (d. h. die Summe aus realem Wachstum und Inflation) zu steigern, und konzentrieren sich dabei vor allem auf den Faktor Inflation. Zu diesem Zweck verfolgen sie seit Jahren eine extrem expansive Geldpolitik, wie sie insbesondere in der Nullzins-Politik zum Ausdruck kommt. Diese Politik hatte jedoch nicht die gewünschte Wirkung, sondern führte vielmehr zu einer strukturellen Verlangsamung des Wachstums. Gleichzeitig nahm das Problem der Überschuldung immer neue Dimensionen an. Die Überschuldung erhöht die Deflationsgefahr, und die Währungshüter reagieren, indem sie mit allen Mitteln Inflation zu schaffen versuchen.

Mit dem Ausbruch der Pandemie hat sich die Lage nun verändert. In den Jahren nach der Finanzkrise war die Konjunkturstimulierung ausschließlich Aufgabe der Geldpolitik. Heute hingegen geht man offenbar mehr und mehr davon aus, dass die Fiskalpolitik diese Aufgabe übernehmen soll. Die Haushaltsdisziplin wird Stück für Stück aufgegeben, und in allen Ländern werden riesige Konjunkturpakete geschnürt. (Hier ist anzumerken, dass die staatlichen Maßnahmen von 2020 nicht als Stimulation im eigentlichen Sinne gelten können. Ziel dieser Maßnahmen war es ja, die Umsatzverluste von Unternehmen im privaten Sektor auszugleichen.) Und die gestiegenen öffentlichen Ausgaben sollen von den Notenbanken finanziert werden. Dem Staat kommt in der Wirtschaft eine immer wichtigere Rolle zu, und die Marktwirtschaft macht immer mehr der Planwirtschaft Platz. 

Was bedeutet all dies für einen Anleger? Zunächst einmal sollte man als Anleger keine allzu festen Vorstellungen mitbringen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie schnell sich die Spielregeln ändern können, und der staatliche Einfluss auf die Finanzmärkte wird immer spürbarer. Daher ist es notwendig, flexibel zu bleiben, um sich gegebenenfalls an veränderte Rahmenbedingungen anpassen zu können. Allerdings sind manche Entwicklungen offensichtlich.

Selbst wenn die Notenbanken weiter offiziell unabhängig bleiben, muss zwangsläufig die Geldpolitik ein Umfeld ermöglichen, in dem die Finanzierung von Haushaltsdefiziten problemlos möglich ist. Konkret bedeutet das, dass die Notenbanken ihre Leitzinsen (die sie direkt kontrollieren) auf ihrem bisherigen sehr niedrigen Stand halten und gleichzeitig verhindern müssen, dass die Anleiherenditen (die sie nicht direkt kontrollieren) übermäßig steigen. Anders gesagt: Sie werden versuchen, die Zinskurve zu kontrollieren. Die Bank of Japan tut dies bereits seit einigen Jahren. 

In einem solchen Szenario werden traditionelle Geldmarkt- und Rentenanlagen sehr unattraktiv. Und doch sind die Aktiva in Geldmarkt- und Rentenfonds 2020 sogar noch gestiegen. Dies mag angesichts der weltweiten Pandemielage mit ihren vielen Unsicherheitsfaktoren verständlich sein. Trotzdem sind Geldmarkt- und Rentenanlagen angesichts der dauerhaft niedrigen Zinsen keine vernünftige Alternative für Anleger, die ihr Kapital langfristig vor Kaufkraftverlust schützen wollen. Im Gegenteil: Es ist so gut wie sicher, dass diese Anlagen real, d. h. inflationsbereinigt, negative Renditen erzielen werden. Für einen Anleger sollte der Erhalt oder die Steigerung der Kaufkraft immer das oberste Ziel sein.

In der Folge werden Anlagen, die wegen ihrer niedrigen Volatilität insgesamt als besonders risikoarm galten, immer mehr risikoreicheren, weil volatileren Anlagen weichen müssen. Gleichzeitig lässt sich Risiko nicht mehr allein durch die Volatilität definieren. Es ist klar, dass sich die Kurse von Staatsanleihen kaum bewegen werden, wenn es den Notenbanken gelingt, die Zinskurve zu kontrollieren. Ihre Volatilität würde also niedrig bleiben. Dies sagt jedoch nichts darüber aus, dass die Inflation die Kaufkraft dieser Anlagen mit der Zeit immer weiter aufzehren wird. Dieser progressive Kaufkraftverlust ist allerdings weniger sichtbar als vorübergehende Schwankungen der Aktienkurse. Solange man Risiko mit Volatilität gleichsetzt, muss ein Anleger daher mehr Risiko in Kauf nehmen, um eine zumindest zufriedenstellende Rendite erzielen zu können.

In den meisten traditionellen Portfolios bedeutet Geldmarkt- und Rentenanlagen verkaufen (oder reduzieren) automatisch, den Aktienanteil zu erhöhen. Dem gegenüber steht das Bewertungsniveau von Aktien, das heute hoch ist und in manchen Fällen sogar auf historischen Höchstständen liegt. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen? Die meiner Ansicht nach sinnvollste Lösung wäre es, sich von Verallgemeinerungen zu verabschieden und Aktien nicht mehr als homogene Anlageklasse zu betrachten. Offensichtlich gibt es heute innerhalb der Aktienmärkte Segmente, die – zum Teil in surrealem Maße – überbewertet sind. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Segmente, die von der Euphorie der Anleger bislang nicht erfasst wurden und weiterhin auf vernünftigen Niveaus bewertet werden. In dieser Hinsicht erinnert die Lage an die Nullerjahre. Seinerzeit war der Markt vor allem deshalb so teuer, weil die Bewertung der TMT-Aktien (Technologie, Medien, Telekommunikation) absurd hoch geworden war. Als die TMT-Blase platzte, verlor der Nasdaq, in dem diese Branchen dominierten, von März 2000 bis Oktober 2002 fast 80 % seines Werts. Im gleichen Zeitraum verlor der Dow Jones, in dem Technologiewerte weniger konzentriert waren, „nur“ 25 %. Eine Aktie wie z. B. Johnson & Johnson, die von den Anlegern vor dem Platzen der Blase vernachlässigt worden war und daher relativ günstig war, stieg indes sogar um über 70 %. (Hier endet jedoch der Vergleich mit der Situation von vor 20 Jahren. Seinerzeit spiegelten die hohen Bewertungen die überzogenen Wachstumserwartungen, vor allem mit Blick auf das TMT-Segment, wider. Heute hingegen ist das hohe Bewertungsniveau das Ergebnis des extrem niedrigen Zinsniveaus. Technisch gesprochen, war der Risikoaufschlag von Aktien damals negativ, während er heute bei seinem historischen Durchschnitt liegt.) 

Entwicklung von Nasdaq, Dow Jones Industrial und Johnson & Johnson zwischen März 2000 und Oktober 2002

Quelle: Bloomberg

Welches sind also heute die Segmente, die von den Anlegern vernachlässigt werden? Manche würden sagen, dass es vor allem die Branchen sind, die mit dem „Value“-Anlagestil in Verbindung gebracht werden, d. h. Banken, Rohstoffe oder besonders zyklische Aktien. Auch wenn es in diesen Branchen sicher einzelne Anlagechancen gibt (allen voran in der Energiebranche), darf man nicht übersehen, dass es sich häufig um Branchen handelt, die vor ernsten strukturellen Problemen stehen, die durch die Pandemie noch verschärft wurden. Ein interessanterer (und qualitativ weit überlegenerer) Bereich scheinen mir dagegen die defensiveren Branchen zu sein, wobei ich unter „defensiv“ Branchen verstehe, in denen die Ertragslage der Unternehmen weniger konjunktursensibel ist. Solche Unternehmen zahlen regelmäßige und langfristig steigende Dividenden und bieten ein gewisses Maß an Schutz vor Inflation, da es den Unternehmen dieser Branchen, aufgrund des oft essentiellen Charakters ihrer Produkte, eher möglich ist, ihre Verkaufspreise zu erhöhen. Diese Branchen sollten insbesondere von Kapitalabflüssen aus festverzinslichen Portfolios profitieren, die regelmäßige Zinseinkünfte suchen. Hier könnte man in erster Linie an die Basiskonsumgüter- oder die Gesundheitsbranche denken, in denen auch keine Anzeichen einer Spekulationsblase zu erkennen sind. Die Aktienkurse von Unternehmen wie Nestlé, Reckitt Benckiser oder Unilever sind nicht viel höher als vor zwei Jahren (im Falle von Unilever ist der Kurs sogar niedriger). Doch auch jenseits dieser beiden Branchen und des „Value“-Segments ist es möglich, Unternehmen zu finden, deren Bewertung nicht übertrieben hoch ist – vor allem in einem Niedrigzinsumfeld. Vor allem dann, wenn man bereit ist, über den Tellerrand der Aktienmärkte der USA und Europas hinaus zu schauen, z. B. nach Asien oder in die Schwellenländer. Ein solcher selektiver Ansatz – das muss ausdrücklich gesagt werden – hat nichts mit Strategien gemein, die sich an irgendwelchen Referenzindizes orientieren, um sie zu schlagen. Man könnte übrigens argumentieren, dass der vielen Fondsmanagern auferlegte Zwang, einen Index über einen relativ kurzen Zeitraum zu schlagen, im Widerspruch steht zu dem, was ihr eigentliches Hauptziel sein sollte: der Schutz des ihnen anvertrauten Kapitals und der mit ihm einhergehenden Kaufkraft.

Kursentwicklung von Nestle, Reckitt Benckiser und Unilever seit Ende 2018

Quelle: Bloomberg

Abschließend noch ein Wort zum Gold: Das beschriebene Szenario, auf das wir zusteuern, d. h. eine expansive Fiskalpolitik, die durch die Schaffung neuen Geldes finanziert wird, ist insofern positiv für Gold, als es zu einem Wertverlust des Papiergeldes führt. Doch schon jetzt profitiert das Edelmetall von negativen realen Zinsen und bietet einen Schutz gegen die Inflationsgefahr. In der Vergangenheit hat Gold außerdem oft (wenn auch nicht immer) seine Aufgabe als Schutz eines Portfolios in schwierigen Börsenphasen erfüllt. In Portfolios, die stärker auf Aktien ausgerichtet sind, ist dies ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
 

Guy Wagner, Chief Investment Officer

Guy Wagner stammt aus einer Unternehmerfamilie in Luxemburg und besitzt einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Université Libre Brüssel. Er trat 1986 in die Banque de Luxembourg ein, wo er zunächst die Abteilungen Finanzanalyse und Asset Management leitete, bevor er 2005 zum Geschäftsführer von BLI - Banque de Luxembourg Investments, einer neu gegründeten Verwaltungsgesellschaft, ernannt wurde.

Seit Juli 2022 widmet er sich ausschließlich seiner Rolle als Chief Investment Officer, dem Portfoliomanagement und der Leitung des Teams, das für die Verwaltung der verschiedenen Fonds verantwortlich ist.

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