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Im Unternehmenssektor hat die Ausfallquote das höchste Niveau seit 2009 erreicht. Standard & Poor's stellt in seiner jüngsten Studie(1) vom 30. November 2015 für das laufende Jahr eine starke Zunahme der Zahlungsausfälle bei Unternehmensanleihen fest: 101 Emittenten erfüllten ihre Zahlungsverpflichtungen nicht – eine Größenordnung, die zuletzt 2009 registriert wurde.

Anstieg der Zahlungsausfälle

China Fishery, ein weltweiter Lieferant von Fisch und Meeresfrüchten, und die russische Bank Uralsib sind die aktuellsten Beispiele. Interessanterweise stammen von den rund 100 säumigen Unternehmen nur 21, d.h. ein Fünftel, aus Schwellenländern. Innerhalb der Region kommen die meisten betroffenen Emittenten aus Brasilien und Russland, und dort wiederum vor allem aus der Öl- und Gasbranche.

Zahlungsausfälle im Unternehmenssektor nach Regionen (2004 bis November 2015)

 

Quelle: Standard & Poor's

Die jüngsten Nachrichten über Petrobras, Glencore, Valeant und VW erinnern an die Krise, die sich ab 2000 am Markt für Unternehmensanleihen ereignete. Die Verschuldung verschiedener Unternehmen war damals auf ein Rekordniveau geklettert, und sie steuerten letztlich entweder auf eine Insolvenz oder auf eine tiefgreifende Umstrukturierung zu: WorldCom, Enron, General Motors und France Télécom sind nur einige Namen, die in dieser Zeit durch die Presse gingen. Wie so häufig stellt sich auch jetzt die Frage, ob die aktuelle Situation mit damals vergleichbar ist. Falls ja, müssen sich Anleger überlegen, ob der Verschuldungszyklus des Privatsektors unmittelbar vor einer Wende steht und demnächst grundlegende Umstrukturierungen folgen werden. Die nachstehende Grafik zeigt die Kursentwicklung der Glencore-Anleihe 1,25% März 2021. 2012 gab Glencore seine Fusionspläne mit dem Schweizer Bergbauunternehmen Xstrata bekannt. 2013 übernahm der Rohstoffriese den kanadischen Getreidehändler Viterra, und 2015 startete Glencore einen Übernahmeversuch bei Rio Tinto, der jedoch letztlich scheiterte.

Kursentwicklung der Anleihe Glencore 1,25% 03/2021

Quelle: Bloomberg

Ein Déjà-vu aus den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts

Jeder erinnert sich an die Unternehmen, die vor gut 15 Jahren die Schlagzeilen beherrschten: AOL Time Warner, Vivendi Universal, WorldCom, Alcatel, Nortel, Lucent, Cable & Wireless usw.

Nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 begann in der Telekombranche bald ein neuer Entschuldungszyklus. Der französische Telekomkonzern Orange (ehemals France Télécom) ist ein Musterbeispiel für diesen Prozess: 2000 glänzte das Unternehmen noch mit einem AA-Rating. Mit der Bilanzverschlechterung, bedingt durch verschiedene Übernahmen, u.a. des Mobilfunkanbieters Orange von Vodafone, sank das Rating immer weiter nach unten. Im Juli 2002 war Orange eines der am höchsten verschuldeten Unternehmen und rutschte fast in den Spekulationsbereich – das Rating wurde bis auf BBB- reduziert. In jenem Jahr übernahm Thierry Breton die Führung des Konzerns, dessen Finanzen er in den nächsten beiden Jahren sanierte. Die folgenden Grafiken zeigen die Entwicklung der Nettoverschuldung bzw Zinsdeckung des Unternehmens jeweils bezogen auf das operative Ergebnis (Nettoverschuldung/EBITDA)(2) .

Orange (France Télécom): Nettoverschuldung/EBITDA

Quelle: Bloomberg

Orange (France Télécom): EBITDA/Zinsaufwendungen (x) (Zinsdeckungsgrad)

Quelle: Bloomberg

Orange (France Télécom): Ratingverlauf

Quelle: Standard & Poor's

Unternehmensanleihen und Bankkredite

Bei vielen Unternehmen bewegen sich Verschuldung und Liquidität heute auf einem ähnlichen Niveau wie bei den Telekomunternehmen nach der Jahrtausendwende. Das Volumen der weltweiten Emissionen ist deutlich gestiegen – lag es 2008 noch bei 2.100 Milliarden USD, betrug es 2014 bereits 3.500 Milliarden USD(3). Gleichzeitig lassen das schwache Wachstum sowie der daraus resultierende Deflationsdruck die Einnahmen sinken. Am stärksten hiervon betroffen sind Unternehmen aus der Öl- und Bergbaubranche.

Innerhalb der Schwellenländer-Region registrieren Brasilien und Russland die meisten in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Unternehmen. Ein Blick auf Petroleo Brasileiro (Petrobras) und die Brasilianische Entwicklungsbank (BNDES) genügt, um die Probleme des Marktes für Unternehmensanleihen zu verdeutlichen: Die Rohstoffpreise brachen ein, während gleichzeitig die Verschuldung des Unternehmenssektors stieg. Petrobras ist ein staatlich kontrolliertes brasilianisches Mineralölunternehmen. Die BNDES, das für Finanzierungen zuständige Institut des brasilianischen Staates, fördert Projekte in Brasilien und im Ausland (vor allem in Südamerika), die von Landwirtschaft bis Infrastruktur reichen. Die folgenden Grafiken zeigen die Entwicklung der Verschuldung von Petrobras im Vergleich zur Branche anhand der gleichen Kennzahlen wie bei France Télécom. Dabei wird deutlich, dass sich das brasilianische Mineralölunternehmen auf ähnlichen Niveaus bewegt wie der französische Telekomkonzern nach der Jahrtausendwende. Gleichzeitig schneidet es schlechter ab als der Branchendurchschnitt.

Petrobras ggü. Vergleichsunternehmen: Nettoverschuldung/EBITDA (x)

Quelle: Standard & Poor's

Petrobras ggü. Vergleichsunternehmen: EBITDA/Zinsaufwendungen (x)

Quelle: Standard & Poor's

Die quantitativen Lockerungsprogramme in den Industrieländern und insbesondere das QE der Federal Reserve in den USA lösten zwischen 2008 und 2014 starke Kapitalflüsse in die Schwellenländer aus. Sie führten zu einem Anstieg der Anleiheemissionen und der Kredite. Der Gesamtbetrag beläuft sich auf knapp 7.000 Milliarden USD(4).

Der Fall BNDES verdeutlicht die Situation des Privatsektors in den Schwellenländern.  Das Kreditportfolio der Bank wuchs kontinuierlich, und vergangenes Jahr hätte sie mit einem Vermögen von 330 Milliarden USD beinahe die Weltbank als weltweit zweitgrößte Entwicklungsbank nach der China Development Bank abgelöst. Dieses Jahr kam es jedoch zu einer deutlichen Verlangsamung ihrer Aktivitäten, und die Mittelauszahlungen sanken: Der Gesamtbetrag der von Januar bis Oktober vergebenen Kredite liegt bei knapp 105 Milliarden BRL und damit 28% unter dem Betrag des Vorjahreszeitraums. Das Nettoergebnis der Bank von Januar bis September bleibt mit 6,6 Milliarden BRL 10,3% hinter dem Wert im gleichen Zeitraum 2014 zurück.

BNDES: Kreditauszahlungen in Milliarden BRL (brasilianischer Real) 

Quelle: BNDES

Steuert der Markt für Unternehmensanleihen auf eine Krise zu?

Eventuelle Befürchtungen mit Blick auf den Corporate Bond-Markt scheinen durchaus begründet: Die Verschuldung bewegt sich auf einem hohen Niveau, während die Einnahmen der Unternehmen zurückgehen. Gleichzeitig wird die expansive Geldpolitik schon jetzt bzw. künftig nicht mehr im gleichen Ausmaß fortgesetzt (trotz der jüngsten Ankündigungen des EZB-Präsidenten).  Insbesondere die Rückkehr zu einem Zinsanhebungszyklus in den USA sowie die relative Stärke des USD belasten den Markt. Ein Ausbleiben der Zinswende würde hingegen signalisieren, dass keine Aufhellung der Wirtschaft auszumachen ist. Hoch verschuldete Unternehmen stecken dadurch in der Klemme, vor allem wenn sie in Branchen aktiv sind, die stark vom Konjunkturzyklus abhängen. Deshalb ist es nur folgerichtig, sich für die nächsten Monate auf eine weitere Verschlechterung der Schuldendienstfähigkeit einzustellen.

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(1) Default, Transition, and Recovery: Global Corporate Default Tally Tops 100 So Far In 2005, Standard & Poor's, 30. November 2015.

(2) Anzahl der Jahre, die ein Unternehmen benötigt, um seine Schulden mit dem operativen Ergebnis zurückzubezahlen.

(3) Nach einem Artikel der FT: Corporate Shocks Show Swift in Credit Risk, vom 04.11.2015.

(4) Deeper Into The Red, Financial Times, 17.11.2015

Jean-Philippe Donge, Head of Fixed Income

Nach Abschluss seines Studiums als Wirtschaftsingenieur an der belgischen Louvain School of Management führte Jean-Philippes Weg nach Finanzzentrum Luxemburg. Er kam 2001 zur Abteilung Asset Management der Banque de Luxembourg. Nach dreijähriger Tätigkeit in den Bereichen Analyse und Research ist Jean-Philippe auf die Übernahme eines Fonds vorbereitet: 2003 übernahm er das Management einiger Rentenfonds der Sicav BL, darunter den mehrfach ausgezeichneten BL-Global Bond, der mehrfach prämiert wurde, unter anderem als bester europäischer Rentenfonds in Euro.

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