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Anleihemanagement: Diesmal ist alles anders! In der Vergangenheit war es im Anleihemanagement ausreichend, wenn man sich an den Indizes der Rentenmärkte orientierte. Das historisch niedrige Zinsniveau hat die Situation nun grundlegend verändert: Methoden, die gestern noch allgemeine Praxis waren, stehen heute ernsthaft in Frage. Ein Blick auf die theoretischen Grundlagen dieser Anlageklasse.

Robert Cobbaut, mein ehemaliger Professor für Finanztheorie, war davon überzeugt: „Es geht nichts über die gute alte Theorie.“ Diese Devise sollte sich eigentlich jeder Anleihemanager über den Schreibtisch hängen. Bei Aktienmanagern mag sich alles um „Überzeugungen“ drehen, im Anleihemanagement jedoch benötigt man finanzmathematische Prinzipien, ohne sie geht nichts. Bekanntermaßen basiert das Management von festverzinslichen Anlagen auf dem Konzept des Zinses: Für Emittenten ist der Zins der Preis, der für die Finanzierung zu zahlen ist, für Gläubiger die Vergütung für das eingesetzte Kapital, für Zentralbanken wiederum das wirtschaftliche Steuerungsinstrument schlechthin. Soweit zumindest die Ausgangslage, wie sie vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers galt. Seither hat sich manches verändert: Mit ihrer „außerordentlichen“ – gleichzeitig aber auf Dauer angelegten – Politik der quantitativen Lockerung haben die Zentralbanken die Zinsen auf einen historischen Tiefpunkt gedrückt und damit eine echte „Liquiditätsfalle“ im Sinne von John Maynard Keynes geschaffen: Die Verzinsung von Anlagen ist so gering, dass die Marktteilnehmer ihre Liquidität lieber für sich behalten als sie zu investieren. Es ist nun über vier Jahre her, dass der Zinssatz für die Einlagefazilität der Europäischen Zentralbank unter null gesenkt wurde (Grafik 1).

 

Grafik 1 - Entwicklung des Zinssatzes für die Einlagefazilität[1]

Quelle: EZB

 

Für die Anleihemärkte ist dies eine völlige Umkehr der bisherigen Grundsätze, fast eine kopernikanische Revolution. Derjenige, der Geld aufnimmt, wird von demjenigen, der das Geld zur Verfügung stellt, bezahlt. In den vergangenen drei Jahrzehnten kam es zu einer schrittweisen Erosion der Renditen in den großen Industrieländern. So fiel z. B. die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe von fast 9,11 % auf 0,32 %. Verkompliziert wird die Situation zudem durch aufsichtsrechtliche Entwicklungen: Die sogenannte Volcker Rule verbietet Banken den Handel für eigenes Konto.

 

Ein neues, ungewisses Umfeld für Anleihemanagement

Auch wenn diese Umwälzungen schrittweise vonstatten gegangen sind, stellen sie trotzdem einen Paradigmenwechsel im Anleihemanagement dar: Heute kann man nicht mehr von einem Abwärtstrend der Zinsen ausgehen. Zwischen Juni 2016 und Juni 2018 erlebten wir vielmehr die längste Aufwärtsbewegung der Rendite auf zehnjährige US-Anleihen der vergangenen 30 Jahre! Die von den Zentralbanken so herbeigewünschte Inflation entwickelt sich je nach Land durchaus unterschiedlich (s. Grafik 2) und sorgt immer wieder für Unsicherheit und damit für Volatilität. Um in diesem schwierigen Umfeld den richtigen Weg zu finden und möglichst unbeschadet zu gehen, ist es wichtig, sich auf die Grundlagen des Anleihemanagements zu besinnen.

 

Grafik 2 - Inflation: uneinheitliche Signale

Quelle: BCA Research

 

Die wichtigste Kenngröße für ein Anleiheportfolio ist die modifizierte Duration. Sie misst die Sensibilität des Portfolios für Zinsänderungen und ergibt sich als erste Ableitung der Duration[2] gemäß der folgenden Formel:


wobei

D = Macauley-Duration

CFt = Cashflow der Anleihe zum Ende der Zeiteinheit t
r = Rendite je Zeiteinheit (vom Markt gezahlter aktuarischer Renditesatz)
T = Anzahl der Zeiteinheiten bis zur Fälligkeit

Es handelt sich also um die Summe aller abdiskontierten Erträge (jeweils ausgedrückt als prozentualer Anteil des aktualisierten Werts der Anleihe) unter Berücksichtigung ihrer Zahlungszeitpunkte.

Ausgehend von der Formel zur Berechnung eines Anleihepreises (C0) und unter Berücksichtigung dieser Funktion leiten wir die Sensibilität (oder modifizierte Duration) der Anleihe ab. Diese misst relative Wertschwankungen bei einer Zinsänderung um 1 % bzw. 100 Basispunkte:

Vereinfacht lässt sich die modifizierte Duration wie folgt ausdrücken:


wobei
m = Anzahl der jährlichen Kuponzahlungen
YTM = Rendite auf Endfälligkeit (Yield To Maturity)

Je höher die modifizierte Duration, um so größeren Einfluss hat eine Zinsänderung auf den Kurs. Eine positive Zinsänderung lässt den Kurs der Anleihe fallen und umgekehrt. Man versteht leicht, warum die modifizierte Duration, die – vereinfacht gesagt – das Risiko eines Portfolios misst, das Hauptwerkzeug für das Management von Anleiheportfolios geworden ist. Das Problem ist nun, dass diese Methode ihren Sinn verliert, wenn die Zinsen wie zurzeit auf einem extrem niedrigen Niveau liegen. Die modifizierte Duration gibt eine gute Approximation der Sensibilität eines Anleihekurses für relativ geringe Zinsänderungen an. Dieses Verhältnis verläuft jedoch nicht linear, sondern konvex (s. Grafik 3). Die Steigung der Tangente entspricht der modifizierten Duration einer Anleihe zu einem bestimmen Zeitpunkt. Jedes Koordinatenpaar (r, P) besitzt seine eigene Tangente. Daher kann man gut erkennen, dass sich die Sensibilität beträchtlich verändert, wenn sich die Zinsen stärker ändern: Je größer die Zinsänderung, desto höher die Fehlerquote bei der Schätzung des Kurses. Dies wird dann wichtig, wenn die Volatilität insgesamt zunimmt.

 

Grafik 3 - Duration vs. Anleihekurs: eine konvexe Kurve

 

Benchmark-orientiertes Management: Sind die Erfolge der Vergangenheit reproduzierbar?

Heute reicht es nicht mehr aus, ein Anleiheportfolio allein mit Blick auf die modifizierte Duration zu managen. Noch in den Jahren 2000 bis 2010 stellte dieses Mittel der Steuerung des Beta in Anleiheportfolios ein effizientes Instrument dar. Ein Fondsmanager konnte sich durch gutes Timing seiner Operationen im Portfolio leicht vom Durchschnitt abheben, ohne sich von seiner Benchmark entfernen zu müssen. Da die Renditen bei etwa 4 % bis 5 % lagen, erhöhte eine Verlängerung der modifizierten Duration die Volatilität eines Portfolios nicht übermäßig, da gleichzeitig entsprechend höhere Zinskupons eingelöst werden konnten. Heute jedoch hat das starke Absinken der Renditen infolge der extrem niedrigen Zinsen zu einem „technischen“ Anstieg der modifizierten Duration bei Anleihen einer gegebenen Laufzeit geführt (vgl. Herleitung der modifizierten Duration oben). Dies sieht man deutlich an den großen Referenzindizes für die Anleihemärkte, wie zum Beispiel dem JPMorgan EMU Bond Index: In dem Maß, wie die Renditen sanken, stieg auch die Duration. Dies führte zu einer ähnlichen Bewegung bei den benchmarkgebundenen Fondsmanagern. In der Folge sind deren Portfolios heute sehr sensibel selbst für geringe Zinsänderungen. Diese Managementmethode funktionierte solange gut, wie die Zinsen nach unten gingen. Alles deutet jedoch darauf hin, dass diese Phase vorbei ist. Die Maßnahmen zur quantitativen Lockerung gehen langsam, aber sicher dem Ende zu (s. Grafik), und der langfristige demografische Trend der alternden Bevölkerung dürfte einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich[3] zufolge zu einem dauerhaften Anstieg der realen Zinsen[4] in den Industriestaaten führen. Auch hier erleben wir eine Trendumkehr nach einer Periode der Desinflation, als nach dem Beitritt Chinas und osteuropäischer Länder zur Welthandelsorganisation WTO das große neue Angebot billiger Arbeitskräfte zur Verlagerung von Arbeitsprozessen und damit zu sinkenden Warenpreisen führte.

 

APP monthly net purchases, by programme[6]

Quelle: EZB

Über die klassischen Kategorien hinaus denken und den Einzelfall betrachten

Heute dagegen muss ein vernünftig verwaltetes Portfolio mehr Gewicht auf Finanztheorie und makroökonomische Zusammenhänge legen. Konvexität, Ertrag über die Haltedauer, Korrelation zwischen Wertpapieren sowie Kreditanalyse erlauben eine differenzierte Analyse der Emittenten und ihrer Qualität. Ein solcher Ansatz erfordert, dass man sich von der indexorientierten Logik freimacht und das Denken in festen Kategorien überwindet, insbesondere dem in Marktsegmenten. Um die Heterogenität des Marktes zu nutzen, ist es im Anleihemanagement wichtiger denn je zu unterscheiden zwischen „Investment grade“ und „High yield“, zwischen Staats- und Unternehmensanleihen, zwischen erst- und nachrangigen Anleihen – und eben nicht im traditionellen „Schubladendenken“ der Märkte zu verharren. In einem volatiler werdenden Umfeld lassen sich auf diese Weise Zinskurven finden, in denen die relative Bewertung deutlich attraktiver ist als die der deutschen Bundesanleihe und mit denen sich die Duration für einen Teil des Portfolios steuern lässt.

Für den Rentenfondsmanager sind makroökonomische Entwicklungen ein wichtiges Arbeitsinstrument: Er muss sich proaktiv für Länder interessieren, die eine echte Dynamik erleben, wie z. B. zurzeit Indonesien oder Peru.

Vor allem scheint es uns notwendig, die klassische Unterscheidung von entwickelten und aufstrebenden Volkswirtschaften zu überwinden. Nehmen wir das Beispiel der Emirates Telecommunications Group: Das Unternehmen mag zwar aus den Emerging Markets stammen, doch seine Emissionen in starker Währung werden von Standard & Poor‘s mit AA- eingestuft. Mit einem solchen Rating kann kein Unternehmen aus dem CAC 40 mithalten! Wichtiger als der Ort des Hauptsitzes des Unternehmens ist die Art der Cashflows, die es generiert – sie sagt etwas über die Qualität des Emittenten aus.

Auf ähnliche Weise kann man einen branchenorientierten Ansatz mit einem regionalen verbinden: indem man zum Beispiel das Zinsdifferenzial der asiatischen Telekombranche mit der ihrer europäischen Mitbewerber vergleicht[5] und durch detaillierte Kreditanalyse, dem eigentlichen Fundament im Anleihemanagement, Marktineffizienzen herausarbeitet, die Anlagechancen bedeuten können.

Indem wir uns von den Benchmark-Indizes abwenden, können wir einen freieren und gleichzeitig flexibleren Ansatz verfolgen. Heute ist es wichtiger denn je, im Anleihemanagement ausgetretene Pfade bzw. „Autobahnen“ zu verlassen, auf denen man noch bis vor einigen Jahren fahren konnte. Heute haben Finanzmathematik und Kreditanalyse das Sagen.

 

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[1] Zinssatz, den Banken für 24-Stunden-Einlagen von der Zentralbank erhalten (Overnight rate). Seit Juni 2014 werden Einlagen nun also nicht mehr verzinst, sondern mit einer „Gebühr“ belegt (Quelle: EZB).

[2] Gemäß F. R. Macaulay sollte das beste Maß für die mittlere Laufzeit einer Anleihe die Cashflows (Zinskupons und Endwert bei Fälligkeit) und die Rendite über die Laufzeit berücksichtigen. Allgemein lässt sich die Duration einer Anleihe definieren als der mittlere Zahlungszeitpunkt, zu dem der Besitzer der Anleihe den ihm zustehenden Cashflow erhält.

[3] „Demographics will reverse three multi-decade global trends”, Charles Goodhart and Manoj Pradhan, 7. August 2017, BIZ

[4] Der Zusammenhang zwischen Nominal- und Realzins ist durch die so genannte Fisher-Gleichung gegeben:

 

 

wobei d = Inflationsrate, P1 = Preisniveau zum Zeitpunkt t1 (Jahresende), P0 = Preisniveau zum Zeitpunkt t0 (Jahresbeginn), und wobei der reale Zinssatz (ir) nach folgender Formel vom Nominalzinssatz (in) abgeleitet wird:

 

 

d. h. vereinfacht:

 

 

[5] Dies bedeutet: In einem Markt, der sich in den vergangenen 30 Jahren grundlegend verändert hat, sind bisherige Kategorien und Unterscheidungen in Frage zu stellen, um im Management freier und in der Risikosteuerung flexibler sein zu können. Ein weiteres Beispiel sind asiatische Emittenten, die weitgehend als „Emerging Markets“ gelten, auch wenn offensichtlich ist, dass Zonen wie Südkorea oder Hongkong nicht mehr in diese Kategorie passen.

[6] APP = Asset Purchase Programmes:

Public sector purchase programme
Corporate sector purchase programme
Asset-backed securities purchase programme
Covered bond purchase programme

Jean-Philippe Donge, Head of Fixed Income

Nach Abschluss seines Studiums als Wirtschaftsingenieur an der belgischen Louvain School of Management führte Jean-Philippes Weg nach Finanzzentrum Luxemburg. Er kam 2001 zur Abteilung Asset Management der Banque de Luxembourg. Nach dreijähriger Tätigkeit in den Bereichen Analyse und Research ist Jean-Philippe auf die Übernahme eines Fonds vorbereitet: 2003 übernahm er das Management einiger Rentenfonds der Sicav BL, darunter den mehrfach ausgezeichneten BL-Global Bond, der mehrfach prämiert wurde, unter anderem als bester europäischer Rentenfonds in Euro.

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