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Es ist immer wieder interessant zu sehen, mit welcher Überzeugung manche Vermögensverwalter zu Jahresbeginn ihre Prognosen abgeben. Zuweilen sind diese Vorhersagen sehr präzise – nach dem Motto: „Der S&P 500 wird in der ersten Jahreshälfte um x % steigen/fallen, bevor er in der zweiten Jahreshälfte wieder fällt/steigt und das Jahr dann mit einer Performance von x % abschließt“. Natürlich kann es sein, dass die Voraussagen des einen oder anderen Experten tatsächlich einmal eintreten. Fakt ist aber, dass es unmöglich ist, die Zukunft vorherzusagen und sich dies Jahr für Jahr aufs Neue bestätigt. Wer hätte zum Beispiel ahnen können, dass der weltweite Aktienindex Ende 2021 etwa 30 % über seinem Stand vom Februar 2020, d. h. vor Beginn der Pandemie, liegen würde?

Meiner Ansicht nach lauten die wichtigsten Fragen für einen Anleger zum Jahresbeginn:

  • Wohin steuert die Inflation?
  • Was werden die Notenbanken tun?

Das Problem ist nur: Eine seriöse Antwort auf beide Fragen ist nicht möglich. Selbst die Notenbanken, die den Inflationsverlauf eigentlich am besten kennen müssten und deren Äußerungen von den Märkten stets akribisch analysiert werden, haben keine Ahnung, ob der Inflationsanstieg 2021 nur vorübergehend war oder von Dauer sein wird – dazu genügt es, die Protokolle der Zentralbanksitzungen zu lesen. Und selbst wenn sich die Inflationsentwicklung 2022 voraussagen ließe, bliebe immer noch die Frage, wie die Notenbanken auf sie reagieren würden. Früher bestand ein direkter Zusammenhang zwischen der Inflation und Zinsanhebungen. Heute jedoch haben die Notenbanken über die Preisstabilität hinaus eine Reihe ganz anderer Ziele für sich entdeckt. Dazu gehören die Vollbeschäftigung, das Lohn- und Gehaltswachstum und die Verringerung sozialer Ungerechtigkeit (die von den Zentralbanken selbst verschärft wurde), die Stützung der Finanzmärkte bis hin zum Kampf gegen den Klimawandel. Natürlich kann ein Anleger Überlegungen zu den zentralen Themen Inflation und Notenbank-Politik anstellen und sich bestimmte Szenarien ausmalen. Er sollte aber aufgeschlossen bleiben und allzu starke Vorausfestlegungen vermeiden.

Vor genau einem Jahr hatte ich an dieser Stelle dazu aufgefordert, die üblichen Prognosen zum Jahresbeginn beiseitezulegen und vielmehr das große Ganze – „the big picture“ – und dessen Folgen für die eigenen Anlageentscheidungen zu betrachten. Im Folgenden werde ich einige meiner damaligen Punkte aufgreifen und um weitere ergänzen. Auch wenn allzu starke Überzeugungen in der Frage, wie sich die Inflation oder die Finanzmärkte 2022 entwickeln, gefährlich sind. Es gibt Themen, zu denen man als Fondsmanager durchaus feste Überzeugungen haben sollte. Hier sind meine:

  • Allgemein gesprochen hat ein Anleger immer die Wahl zwischen realen Vermögenswerten (Aktien, Immobilien) und monetären Vermögenswerten (Termingelder, Anleihen). Mit realen Vermögenswerten sind „greifbare Werte“ gemeint, eine Produktionsstätte, ein Haus oder ähnliches. Monetäre Vermögenswerte hingegen sind, vereinfacht gesagt, das Versprechen eines Gegenübers, eine Schuld zu einem voraus bestimmten Termin zurückzuzahlen und bis dahin regelmäßige Zinsen zu zahlen. Für beide Arten von Vermögenswerten gibt es ein günstiges und ein weniger günstiges Umfeld. Günstig für monetäre Vermögenswerte ist – wieder vereinfacht gesagt – ein Umfeld, in dem die realen Renditen hoch sind (d. h. in dem die Zinsen weit über der Inflation liegen) und in dem die Notenbanken die Stabilität der Preise und ihrer jeweiligen Währung fest im Blick haben. Das derzeitige Umfeld gehört ganz klar nicht in diese Kategorie. Ein Anleger, der seine Kaufkraft langfristig erhalten bzw. steigern will und einen ausreichend langen zeitlichen Horizont mitbringt, sollte daher eindeutig reale Vermögenswerte bevorzugen.

Durchschnittlicher Zinssatz in den Industriestaaten



Quelle: Minack Advisors 

  • Reale Vermögenswerte wie Aktien weisen in der Regel eine deutlich höhere Volatilität auf als monetäre Anlagen. Der Wert eines Festgeldkontos kann – zumindest nominal – nie sinken. Bei einem Aktienportfolio hingegen ist es normal, dass es regelmäßige Kurskorrekturen erlebt (daher auch die Notwendigkeit, hier einen ausreichend langen zeitlichen Anlagehorizont zu haben). Höhere Volatilität ist der Preis, den Anleger zahlen müssen, um ihre Kaufkraft im aktuellen Umfeld zu erhalten.
  • Für Aktien sind zwei Faktoren entscheidend: das Zinsniveau und die Unternehmensgewinne. Das Zinsniveau ist sogar in doppelter Hinsicht wichtig. Zunächst einmal beeinflusst es den zur Abdiskontierung zukünftiger Gewinne verwendeten Zinssatz, der bei mathematischen Aktienbewertungsmodellen eine Rolle spielt. Werden die künftigen Gewinne eines Unternehmens mit 10 % abdiskontiert, ergibt sich ein völlig anderer aktueller Unternehmenswert als bei 5 %. Bei ansonsten gleichbleibenden Parametern führt ein sinkender Abdiskontierungssatz also zu einem Anstieg des Bewertungsniveaus. Zum anderen bestimmt das Zinsniveau auch, wie attraktiv die „Hauptkonkurrenten“ der Aktien sind, d. h. geldmarktnahe und festverzinsliche Anlagen. Warum sollte ein Anleger das Risiko einer Aktie in Kauf nehmen, wenn sich auch mit einem geldmarktnahen Konto oder einer Anleihe eine hohe Rendite erzielen lässt? Zinsen und Unternehmensgewinne haben sich 2021 zum Vorteil von Aktien entwickelt. Die Unternehmensgewinne sind stark gestiegen, und die Zinsen verharrten auf extrem niedrigem Niveau. Es wäre überraschend, wenn das Umfeld 2022 genauso günstig bliebe.
  • Das Bewertungsniveau am Aktienmarkt ist heute hoch und liegt in vielen Fällen fast auf dem Niveau der Spekulationsblase Ende der 1990er-Jahre. Trotzdem sollte man das aktuelle Umfeld nicht als Spekulationsblase bezeichnen. Ende 1999 war das Bewertungsniveau trotz der relativ hohen Zinsen hoch (zehnjährige deutsche Bundesanleihen: 5 %, US-Anleihen 6 %). Heute dagegen ist das Bewertungsniveau hoch wegen der außerordentlich niedrigen Zinsen (zehnjährige deutsche Bundesanleihen - 0,3 %, US-Anleihen 1,7 %.). Damals war die Risikoprämie für Aktien negativ, heute liegt sie bei ihrem historischen Durchschnitt. Ende 1999 waren die Aktien also absolut und relativ gesehen teuer, heute sind sie es nur absolut gesehen.

Risikoprämie des amerikanischen Aktienmarktes

Quelle: BCA Research
 

  • Dennoch ist unbestritten, dass eine enge Beziehung besteht zwischen absolutem Bewertungsniveau und langfristiger Rendite. Auf kurze Sicht besteht diese Beziehung nicht, denn ein teurer Markt kann immer noch teurer werden. Auf lange Sicht zeigt die Geschichte jedoch, dass anormal hohe Bewertungen mit der Zeit tendenziell wieder sinken („Mean-Reversion-Effekt“). Von den drei Faktoren, die die Rendite der Aktien bestimmen – Unternehmensgewinne, Dividendenrendite und Entwicklung des Bewertungsniveaus – wird letzteres sinken und damit die zukünftige Performance stark belasten. Bei steigenden Bewertungen gilt entsprechend Umgekehrtes. Aus dem aktuellen hohen Bewertungsniveau muss also gefolgert werden, dass ein Anleger künftig niedrigere Renditen erwarten muss. Dies gilt insbesondere für Anleger, die passiv die großen Börsenindizes kaufen.
  • Zum Thema Referenzindizes: Es ist festzuhalten, dass es für einen Fondsmanager heute immer schwieriger wird, gleichzeitig einen Index zu schlagen und das Kapital seiner Kunden zu schützen. Solange die Märkte tendenziell steigen, fällt dies natürlich nicht auf. Ein ganz anderes Bild ergibt sich aber, wenn sich der Kurstrend einmal dreht. In den großen Indizes wie z. B. dem amerikanischen S&P 500, wird der Anteil einer Aktie im Index durch ihre Börsenkapitalisierung bestimmt. Das bedeutet: Eine Aktie, deren Kurs (und damit deren Börsenkapitalisierung) bereits stark gestiegen ist, erhält im Index eine immer größere Gewichtung. Dies erklärt, warum im S&P 500 nur 1 % der Aktien (nämlich Amazon, Alphabet, Apple, Facebook und Microsoft) einen Anteil von 20 % im Index haben. Und eben diese fünf Aktien haben in den vergangenen Jahren einen großen Teil der Indexperformance ausgemacht.
  • Ein Anleger, dem es möglich ist, sich vom Index freizumachen, sollte also einen aktiven Ansatz verfolgen. Er sollte die Börsen als Markt von einzeln zu betrachtenden Unternehmen ansehen, „a market of stocks rather than a stock market“. Dies ist umso wichtiger, als gerade im vergangenen Jahr die gute Performance der Indizes verbirgt, dass es bei einer Reihe von Aktien zu größeren Korrekturen kam. Und wo Korrekturen sind, sind (manchmal) auch Chancen.
  • Vereinfacht gesagt, gibt es an den Finanzmärkten Unternehmen, die langfristig Wert für ihre Anleger schaffen – und solche, die das nicht tun. Letztere operieren häufig in zyklischen Branchen, in denen sich gute und schlechte Jahre abwechseln, in denen der Kapitalbedarf hoch ist und der Cashflow nicht den Aktionären zur Verfügung steht, sondern in Produktionsmittel reinvestiert oder für schlechte Jahre zurückgelegt werden muss. Unternehmen, die Wert für ihre Aktionäre schaffen, verdienen es also, mit einem Aufschlag gegenüber anderen gehandelt zu werden. Um Warren Buffett zu zitieren: „It is far better to buy a wonderful company at a fair price than a fair company at a wonderful price“. Der Aufschlag für solche Aktien ist heute jedoch ausgesprochen hoch. Diese Qualitätsaktien waren die großen Nutznießer des Niedrigzinsumfelds. Das ist auch plausibel. Warum sollte man bei einem zyklischen Unternehmen den Abdiskontierungssatz für künftige Gewinne senken, wenn man gar nicht weiß, wie hoch diese Gewinne ausfallen werden oder sogar befürchten muss, dass es keine Gewinne, sondern Verluste geben wird?

SAP und L’Oréal im Vergleich zu Thyssenkrupp und Orange

Quelle: Bloomberg
 

  • Qualitätsaktien sind also teuer geworden – doch was heißt das für den Anleger? Eine erste Möglichkeit wäre, sie zu verkaufen, um statt dessen weniger hochwertige Titel zu kaufen. Das ist im Wesentlichen das, was Vermögensverwalter empfehlen, die zur Abkehr von Wachstumswerten raten und statt dessen „Value“-Aktien bevorzugen. Eine solche Rotation ist seit Beginn des neuen Jahres an den Märkten zu beobachten, wie bereits von Mitte 2020 bis Ende März 2021. Wenn die Zinsen steigen und der Optimismus über die weltweite Konjunktur anhält, ist es gut möglich, dass dieser Rotationstrend weiter andauert. Das Problem mit Aktien minderer Qualität ist: Wenn man mit ihnen Geld verdienen will, braucht man ein sehr präzises Timing. Man muss im richtigen Moment kaufen und im richtigen Moment verkaufen. Dazu sind allerdings nur die Allerwenigsten imstande. Für uns ist ein solcher Ansatz unvereinbar mit unserer Philosophie, der zufolge der Kauf einer Aktie einer langfristigen Beteiligung am Unternehmen entspricht (viele Aktien sind schon seit langem in unseren Portfolios). Eine zweite Möglichkeit wäre, diese Aktien zu verkaufen und auf größere Kurskorrekturen zu warten, um sie dann erneut zu kaufen. Das mag gutgehen, wenn es schnell zu solchen Korrekturen kommt. Wenn sie ausbleiben, braucht es ein hohes Maß an Disziplin – vor allem, weil diese Aktien ein großes Gewicht in den Indizes haben.
  • Eine dritte Möglichkeit schließlich wäre es, den Anteil dieser Aktien im Portfolio zu reduzieren (ohne sie ganz zu verkaufen) zugunsten von anderen Qualitätsaktien, deren Kurs weniger stark gestiegen ist oder bereits stärker korrigiert hat (wie beschrieben, erlebten viele Aktien im vergangenen Jahr trotz steigender Indizes Kurskorrekturen). Anleger verallgemeinern bisweilen schnell und meinen dann, alle Aktien seien zu teuer oder alle Qualitätsaktien würden mit einem zu hohen Aufschlag gehandelt. Richtig ist aber, dass Aktien keine homogene Anlageklasse sind.
  • Die häufig zu hörende Aussage, die US-Märkte seien sehr teuer, und die europäischen günstiger, muss also relativiert werden. Es gibt unbestritten ein Bewertungsgefälle, das sich aber wesentlich durch die jeweilige Zusammensetzung der beiden Indizes erklären lässt. In den US-Indizes finden sich deutlich mehr Qualitätspapiere (allen voran die großen Tech-Aktien), und diese sind teurer – aber mit gutem Grund. Der europäische Markt dagegen enthält mehr Value-Aktien, die auf den ersten Blick günstiger scheinen. Hochwertige europäische Aktien dagegen sind häufig ebenso teuer wie amerikanische – oft sogar teurer, weil schwerer zu finden. Insgesamt könnte man also sagen: Wer auf eine Outperformance der europäischen Märkte setzt, setzt auf eine Outperformance des Value-Stils.
  • Dazu kommt ein weiterer Faktor, der von den Anlegern häufig unterschätzt wird. Die Aktienkultur ist in den USA viel stärker verankert als in Europa. In den USA stehen die Finanzmärkte im Zentrum der Wirtschaft und beeinflussen so die Entscheidungen der Notenbanken und der Politik im Allgemeinen. Und was noch wichtiger ist: Das Konzept des „Shareholder Value“, der Maximierung des Werts für die Aktionäre und der Rendite auf das des eingesetzte Kapital, sind in den USA viel fester verankert als diesseits des Atlantiks. Sie zeigt sich in der Vergütung der Manager der notierten Unternehmen und beeinflusst ihr Verhalten. Für diese Verantwortlichen ist die Entwicklung des Börsenkurses ihres Unternehmens also ein wichtiger Barometer.
  • Gleichzeitig machen US-Unternehmen nach rund zehn Jahren massiver Outperformance fast 60 % der weltweiten Börsenkapitalisierung aus. Die Geschichte der Finanzmärkte zeigt, dass die Gewinner eines Jahrzehnts (im weitesten Sinne) nur in den allerseltensten Fällen auch die Gewinner des darauf folgenden Jahrzehnts sind, selbst wenn die Argumente für diese Gewinner auf dem Zenit ihrer Entwicklung vermeintlich unerschütterlich erscheinen mögen, so wie derzeit bei den Tech-Aktien der Fall. Als historische Beispiele könnte man die „Nifty Fifty“ in den 1960er-Jahren nennen, Gold-Anlagen in den 1970er-Jahren, Japan in den 1980er-Jahren, Tech-Aktien in den 1990er-Jahren oder Rohstoffanlagen in den Nullerjahren.
  • Ein Anleger, der mit seinem Anlageansatz gegen den Strom schwimmen will, sollte seinen Blick nach Fernost richten. Die Märkte dieser Region sind deutlich weniger gestiegen als die in Europa oder den USA. Auch hier hat die relativ schwache Performance ihren Grund u. a. in der Zusammensetzung der Indizes, doch auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Die schwächere Konjunkturerholung, die geringeren geld- und haushaltspolitischen Stimulierungsmaßnahmen (die andererseits eine weitaus geringere Verschuldung und niedrigere Haushaltsdefizite bedeuten) sowie die Maßnahmen der chinesischen Regierung gegen bestimmte Branchen und Unternehmen. Für Fernost sprechen weiterhin die Entwicklung der wirtschaftlichen Fundamentaldaten und das niedrigere Bewertungsniveau, auch wenn es wohl einige Zeit brauchen wird, bis die asiatischen Märkte outperformen werden.

MSCI Asia ex. Japan im Vergleich zum MSCI World

Quelle: Bloomberg

  • Japan profitiert weiter von strukturellen Faktoren. Dazu gehört die verbesserte Corporate Governance, die Auflösung von Kapitalverflechtungen, der verbesserte Kapitaleinsatz und die Steigerung der Rendite auf das eingesetzte Kapital. Gleichzeitig bietet Japan eine große Zahl von hochwertigen Unternehmen, die langfristig ansehnliche Wachstumschancen bieten. Und trotzdem ist der japanische Markt offenbar vom Radar ausländischer Anleger verschwunden bzw. noch nicht wieder aufgetaucht. Japan wird als Markt für kurzfristige Chancen gesehen, in den man zeitweise Geld fließen lässt bzw. wieder von dort abzieht. Dieses Anlegerverhalten bietet aktiven Fondsmanagern wie uns, die auf die Fundamentaldaten der Unternehmen achten, attraktive Chancen.

Prozentsatz an Unternehmen im Topix mit Netto-Cash-Position >20 % des Eigenkapitals

 


 

Quelle: CLSA
 

  • Gold gehört zu den realen Vermögenswerten. Eine Anlage in Gold ist und bleibt jedoch immer eine spekulative Anlage. Dies hat seinen Grund darin, dass Gold keinen Cashflow produziert und keine Zinsen abwirft. Anders gesagt: Wer als Anleger heute Gold kauft und damit Geld verdienen will, hofft darauf, dass andere Anleger in der Zukunft bereit sein werden, mehr für das Gold zu zahlen. Genau das ist aber die Definition von einer Spekulation. Ein weiterer Faktor: Gold ist unzerstörbar. Die Nachfrage von heute ist also irgendwie auch immer das (potenzielle) Angebot von morgen. Es gibt allerdings auch Marktumfelder, in denen eine spekulative Anlage in Gold sinnvoll sein kann. Da Gold nichts produziert, erfordert dies ein Umfeld von niedrigen oder gar negativen realen Zinsen. Gleichzeitig müssen die Währungshüter den Eindruck vermitteln, dass die Stabilität ihrer Währung nicht unbedingt zu ihren Hauptzielen gehört. Diese beiden Bedingungen sind heute erfüllt. Daher hat Gold für uns seinen Platz in einem diversifizierten Portfolio, zumal es auch eine Art Versicherung gegen geopolitische Risiken darstellt.

Gold und Realverzinsung der zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihe

Quelle: Minack Advisors

  • Dessen ungeachtet hat die Entwicklung des Goldpreises im vergangenen Jahr viele Anleger enttäuscht. Er sank, und das trotz steigender Inflation und immer tiefer ins Negative sinkender realer Zinsen. Dieses – nur auf den ersten Blick – paradoxe Verhalten wird verständlicher, wenn man davon ausgeht, dass der Goldpreis die wirtschaftliche Entwicklung vorwegnimmt. Der Goldpreisanstieg von etwa 40 % in den beiden vorausgegangenen Jahren würde sich dann damit erklären, dass man seinerzeit mit deutlich negativen Zinsen für 2021 rechnete; die relative Schwäche des Goldpreises 2021 hätte ihren Grund darin, dass man für 2022 weniger negative reale Zinsen erwarte. Der Anstieg der realen Zinsen, der seit Jahresbeginn zu beobachten ist, könnte sich übrigens noch eine Weile fortsetzen: entweder, weil der Inflationsdruck nachlässt oder weil die Zinsen steigen. Dies könnte den Goldpreis zeitweise belasten. Mit anderen Worten: Zwar sprechen strukturelle Gründe für Gold, doch diese strukturellen Gründe könnten zeitweilig von zyklischen Faktoren überlagert werden, die negativ auf den Goldpreis wirken.
  • Eine Möglichkeit, in Gold zu investieren und gleichzeitig das Problem der Nicht-Produktivität von Gold zu umgehen, ist die Anlage in Goldminenaktien. Hier scheinen mir zwei Segmente besonders attraktiv. Die erste sind die sogenannten Royalty Companies, d. h. Lizenzunternehmen, die sich auf die Finanzierung von Minen spezialisiert haben und die verglichen mit den klassischen Produzenten ein überlegenes Geschäftsmodell bieten. Vereinfacht gesagt, finanzieren Royalty Companies spezifische Projekte eines Produzenten, der Kapitalbedarf hat, und erhalten dafür einen Anteil dessen, was die Mine abwirft. So vermeiden diese Unternehmen einen großen Teil der Kosten, die mit dem Betrieb einer Mine verbunden sind, und erwirtschaften eine deutlich höhere Kapitalrendite. Das zweite attraktive Segment sind mittelgroße Produzenten mit Produktionsstätten in geopolitisch stabilen Ländern. Diese Unternehmen könnten ein attraktives Übernahmeziel für die großen Goldproduzenten werden, die Probleme mit dem Wachstum haben.

Franco Nevada (Royalty Company) im Vergleich zum Goldpreis und zum Goldminenindex

Quelle: Bloomberg

Ohne mich nun doch an den Prognosen für das kommende Jahr beteiligen zu wollen, wäre es logisch zu erwarten, dass 2022 ein deutlich schwierigeres Jahr für die Finanzmärkte wird. Auch wenn immer noch ein positives Szenario denkbar ist, in dem die Inflation sinkt, das Wirtschaftswachstum anhält und Notenbanken zurückhaltend agieren, muss man einräumen, dass das aktuelle Umfeld anders ist als vor einem Jahr. Seinerzeit hatte der Inflationsanstieg gerade erst begonnen, und die Währungshüter konnten ihr Nicht-Straffen der Geldpolitik mit dem angeblich vorübergehenden Charakter des Anstiegs rechtfertigen. Heute hingegen kann man von einer „Stunde der Wahrheit“ sprechen. Entweder die Inflation sinkt wieder, oder die Währungshüter müssen handeln (zumindest dann, wenn sie ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit erhalten wollen). Und all dies zu einem Zeitpunkt, an dem nicht klar ist, inwieweit die Wirtschaft und die Finanzmärkte in der Lage sind, höhere Zinsen zu verkraften. Und in der geopolitische Risiken präsent und die weiteren Perspektiven in Bezug auf die Pandemie unsicher sind. Attraktive Anlagemöglichkeiten gibt es jedoch weiterhin.

 

Dieses Dokument wird von der BLI - Banque de Luxembourg Investments („BLI") mit größter Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen erstellt.

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Autor

Guy WAGNER, Managing Director, info@bli.lu

Der Autor dieses Dokuments ist Mitarbeiter von BLI - Banque de Luxembourg Investments, einer von der Commission de Surveillance du Secteur Financier Luxembourg (CSSF) zugelassenen Verwaltungsgesellschaft.

Guy Wagner, Chief Investment Officer

Guy Wagner stammt aus einer Unternehmerfamilie in Luxemburg und besitzt einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Université Libre Brüssel. Er trat 1986 in die Banque de Luxembourg ein, wo er zunächst die Abteilungen Finanzanalyse und Asset Management leitete, bevor er 2005 zum Geschäftsführer von BLI - Banque de Luxembourg Investments, einer neu gegründeten Verwaltungsgesellschaft, ernannt wurde.

Seit Juli 2022 widmet er sich ausschließlich seiner Rolle als Chief Investment Officer, dem Portfoliomanagement und der Leitung des Teams, das für die Verwaltung der verschiedenen Fonds verantwortlich ist.

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