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Anzeichen einer Besserung?

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Nach der dramatischen Baisse der Aktienkurse in der vergangenen Woche reduzieren wir unsere Untergewichtung in Aktien. Die maßgeblichen Aktienbörsen haben in den vergangenen zwei Monaten über 30% an Wert verloren. Hinter diesen Kursverlusten stand die Befürchtung, dass die Finanzkrise außer Kontrolle geraten und in eine schwere Wirtschaftsrezession münden könnte. Inzwischen ist meines Erachtens der Zeitpunkt gekommen, die Aussichten für Aktien wieder etwas optimistischer einzuschätzen.

Was sind die Gründe dafür?

Der erste Grund betrifft die Aktienbewertungen. Viele Unternehmen sind inzwischen recht preiswert geworden. Die meisten Börsen weisen ein durchschnittliches Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter 10 auf (der langfristige Durchschnitt liegt bei 14). Ich habe in der Vergangenheit wiederholt argumentiert, dass die derzeitigen Kurs-Gewinn-Verhältnisse darüber hinwegtäuschen, dass die Unternehmensgewinne bei einer Rezession unter Druck geraten werden. Anders gesagt, was heute preiswert erscheint, sieht morgen vielleicht teuer aus. Nach den Kurseinbrüchen der vergangenen Wochen dürften sinkende Unternehmensgewinne jedoch zumindest teilweise eingepreist sein. Angesichts der Unsicherheiten hinsichtlich der Gewinnaussichten ist es allerdings interessant, andere von den Gewinnen unabhängige, Bewertungskriterien anzuwenden. Das folgende, von Morgan Stanley zur Verfügung gestellte Diagramm, zeigt, dass europäische Aktien am vergangenen Freitag mit dem 1,3¬fachen ihres Buchwerts gehandelt wurden. Das ist das niedrigste Niveau seit über 20 Jahren.


MSCI Europe

Der zweite Grund, warum ich – was Aktien betrifft – etwas weniger pessimistisch bin, liegt in den in jüngster Zeit von verschiedenen Regierungen angekündigten Massnahmen um der Finanz- und Wirtschaftskrise entgegenzuwirken. Die folgende Tabelle enthält zehn Prioritäten zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrisen und die bisher getroffenen Massnahmen.

Prioritäten Bislang getroffene Massnahmen
1. Liquidität im Bankensystem aufrechterhalten. – Implizite und explizite Einlagenbürgschaften.– Unbegrenzte Liquiditätsversorgung der Banken.
2. Die Auswirkungen des Verschuldungsgrads im Finanzsektor mildern. Dabei muss den Banken geholfen werden, die Eigenkapitalbasis zu erweitern. – Kapitalspritzen für Banken, die als zu groß erachtet werden, als dass ihre Insolvenz toleriert werden könnte. Während der Staat bei AIG, Fannie Mae und Freddie Mac erst eingesprungen ist, nachdem bestehende Aktionäre ihr Kapital bereits verloren hatten, erfolgt inzwischen die Rekapitalisierung der Banken in einer Weise, dass privates Kapital einen Anreiz besitzt, sich zu beteiligen.
3. …problematische Vermögenswerte müssen aus den Bilanzen der Institute genommen werden und … – Genehmigung des 700-Milliarden-Dollar-Rettungspakets. TARP(Troubled Asset Relief Program) in den USA.
4. … die Rechnungslegung nach der Marktwertmethode muss ausgesetzt werden, damit verhindert wird, dass der forcierte Verkauf eines Vermögenswertes durch eine Bank das damit verbundene Kapital einer anderen Bank vernichten kann. Unter den aktuellen Marktbedingungen sind die Banken gezwungen, Wertminderungen für Vermögenswerte zu verzeichnen, welche sie überhaupt nicht verkaufen wollen, nur weil eine andere Bank sie zu Schleuderpreisen (da keine Käufer im Markt waren) verkaufen musste, um für Notfall-Liquidität zu sorgen.  
5. Die Banken müssen dazu bewegt werden, einander wieder Geld zu leihen. – Bürgschaften für neue Kredite von Banken, die mit einer Rekapitalisierung rechnen können.
– Der Federal Reserve soll es möglich sein, dass sie Handelsbanken für ihre Einlagen bezahlen kann. Die Fed kann daher als ‚Kreditabwicklungsstelle‘ handeln, indem sie Einlagen einer Bank entgegennimmt und sie einer anderen Bank leiht. Der Gedanke ist hier, dass die Fed indirekt für Interbankenkredite sorgt, falls die Banken einander nicht direkt Kredite gewähren.
6. Die Banken müssen mit Hilfe einer geldpolitischen Lockerung und positiven Zinskurven bei ihrer Rekapitalisierung unterstützt werden (positive Zinskurven ermöglichen es den Banken, den Spread zwischen kurz- und langfristigen Zinsen zu nutzen). – Simultane und koordinierte Zinssenkung seitens der wichtigsten Zentralbanken.
7. Die Banken müssen dazu ermutigt werden, den Unternehmen wieder Kredite zu gewähren – oder die Aufhebung des Kreditgeschäfts der Banken muss durch eine direkte Finanzierung der Wirtschaft ausgeglichen werden. – Einrichtung einer ‚Commercial Paper Funding Facility‘, einer neuen Kreditfazilität die es der amerikanischen Federal Reserve Bank ermöglicht, kurzfristige Schuldverschreibungen direkt bei den Emittenten zu kaufen. Commercial Paper dienen der kurzfristigen Finanzierung von Industrieunternehmen.
8. Stabilisierung des Wohnungsmarktes in den USA durch Reduktion der Anzahl der Zwangsvollstreckungen, wobei diese Reduktion mit Auflagen zur Änderung der Hypothekenkreditverträge erreicht werden kann.  
9. Massive steuerliche Anreizpakete mit unter anderem staatliche Infrastrukturinvestitionen und Steuerermäßigungen für Haushalte mit geringem Einkommen, damit das Wirtschaftswachstum gefördert wird.  
10. Die Schwellenländer und insbesondere Asien müssen dazu bewegt werden, ihr derzeitiges Wachstumsmodell, das fast ausschließlich auf Exporte in die westlichen Industrienationen setzt, aufzugeben – und zwar zugunsten eines Modells, das mehr auf die Binnennachfrage abzielt.  



– Schließlich ist es ermutigend, dass die Länder Europas, nachdem sie zunächst bloß eigenmächtig und jeweils für sich selbst zu handeln schienen, sich inzwischen bewusst zu sein scheinen, dass die Krise gemeinsam bewältigt werden muss.

In den kommenden Tagen und Wochen werden wir die Geld- und Kreditmärkte beobachten und sehen, ob die genannten Maßnahmen die Risikoprämien senken und das Vertrauen wieder herstellen werden. Der Lackmustest wird sein, ob das Interbankenkreditgeschäft wieder in Gang kommt. Ein erstes Anzeichen ist, dass sich die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen scheinen – wenn auch sehr langsam.

Die Unsicherheit und die Befürchtungen sind freilich noch sehr präsent. Ein Risiko in dieser Zeit der so nie dagewesenen Volatilität ist es, zu früh zu kaufen und daher kurzfristig gegebenenfalls große Verluste hinnehmen zu müssen (in der Zeit, in der ich diesen Artikel schrieb, sind die Aktienbörsen um über 10% gestiegen). Ein zweites und grundlegenderes Risiko besteht darin, dass all die bisher von der Obrigkeit unternommenen Schritte vielleicht nicht ausreichen werden, den Teufelskreis der einander nährenden Konjunkturschwäche und Finanzkrise aufzubrechen. In diesem Fall könnte es zu einem systemischen Finanzkollaps und einer Wirtschaftsdepression kommen. In solch einem Szenario wäre das Kursrisiko für Aktien nach wie vor groß. Obiges Diagramm von Morgan Stanley zeigt auch, dass europäische Aktien in der Rezession von 1981 mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 0,8 notierten. Wenn die Märkte heute auf dieses Niveau zurückfallen sollten, müssten die Kurse noch um weitere 40% nachgeben. Pessimisten brauchen nur das Beispiel Japans zu nehmen: Beinahe 20 Jahre nach dem Platzen der Immobilienblase notiert der Nikkei immer noch 75% unter seinem Höchststand von 1989.

Guy Wagner, Chief Investment Officer

Guy Wagner stammt aus einer Unternehmerfamilie in Luxemburg und besitzt einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Université Libre Brüssel. Er trat 1986 in die Banque de Luxembourg ein, wo er zunächst die Abteilungen Finanzanalyse und Asset Management leitete, bevor er 2005 zum Geschäftsführer von BLI - Banque de Luxembourg Investments, einer neu gegründeten Verwaltungsgesellschaft, ernannt wurde.

Seit Juli 2022 widmet er sich ausschließlich seiner Rolle als Chief Investment Officer, dem Portfoliomanagement und der Leitung des Teams, das für die Verwaltung der verschiedenen Fonds verantwortlich ist.

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