Die Schweizer Überraschung
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat die Kursgrenze des Franken zum Euro aufgegeben. Einige Überlegungen zu dieser Entscheidung.
1. Die Entscheidung der SNB kündet sicherlich nicht von großem Vertrauen in die Zukunftsperspektiven des Euro. Mit der Aufgabe des Mindestkurses von 1,20 Franken je Euro verschwindet gleichzeitig ein „natürlicher" Euro-Käufer (auch wenn die SNB möglicherweise immer wieder am Markt intervenieren wird, um eine zu starke oder zu schnelle Aufwertung des Franken zu verhindern). Dies dürfte den Hausse-Trend des US-Dollar gegenüber dem Euro verstärken.
2. Vor diesem Hintergrund wird interessant, was die Europäische Zentralbank diese Woche ankündigt: Alles deutet darauf hin, dass sie allmählich eine quantitative Lockerung einleitet. In diesem Fall wird der Euro zu einer schwachen Währung, die eher den früheren Währungen der südeuropäischen Länder ähnelt als der D-Mark. Die Währungen der großen Industrieländer verlieren eine nach der anderen ihren Wert. Davon profitiert Gold.
3. Die Aufwertung des Schweizer Franken kann als geldpolitische Straffung interpretiert werden und verstärkt die Deflationstendenzen. Auch wenn sich die Börsen außerhalb der Schweiz derzeit solide behaupten, ist die Entscheidung der SNB für die Anlageklasse Aktien keine erfreuliche Nachricht: Sie erhöht die Unfallwahrscheinlichkeit in einem Finanzsystem mit sehr hohen Hebeln, in dem die Preise zahlreicher Aktiva willkürlich durch Maßnahmen der Zentralbanken festgelegt werden (wie bis vor Kurzem auch der Wechselkurs zwischen Euro und Franken).
4. Die derzeit allgegenwärtigen Warnungen vor den Auswirkungen der Aufwertung des Franken auf die Schweizer Wirtschaft und ihre Unternehmen müssen relativiert werden. Die Schweiz ist eine starke Währung gewohnt. Zwischen 1970 und dem Anstieg vergangene Woche kletterte der Kurs des Franken zum US-Dollar von 0,2 auf 1. Dennoch hat die Schweiz eine florierende Wirtschaft, und der Lebensstandard zählt zu den höchsten der Welt. Eine starke Währung erzieht zu Produktivitätssteigerungen und schafft Wohlstand, während eine schwache Währung lediglich eine Bequemlichkeitslösung darstellt. Zwischen Mai 2010 und Juli 2011, d.h. vor der Einführung der Kursgrenze, hatte der Franken 30% aufgewertet. Wie der enorme Leistungsbilanzüberschuss zeigt, wurde die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz davon jedoch nicht nachhaltig beeinträchtigt.
Schweizer Franken gegenüber Währungen der wichtigsten Handelspartner
5. Für die großen Schweizer Unternehmen ergeben sich kurzfristig mehrheitlich negative Auswirkungen, weil sie ihre Gewinne überwiegend außerhalb der Schweiz erzielen. Doch auch sie sind eine starke Währung gewohnt. Die Folgen der massiven Aufwertung des Franken 2010/2011 für die Unternehmensergebnisse hielten sich letztlich in Grenzen, und seit der Einführung der Kursgrenze steigerten sie ihre Gewinne deutlich stärker als die meisten vergleichbaren Unternehmen in Europa. An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass Aktien eine langfristige Anlage sind, und der Börsenkurs eines Unternehmens sollte normalerweise den aktuellen Wert der Gewinne widerspiegeln, die das Unternehmen künftig über viele Jahre realisieren kann (nicht nur im laufenden oder im nächsten Jahr).
6. Das Vorangehende bedeutet indes nicht, dass der Rückgang an der Schweizer Börse bereits eine wichtige Kaufgelegenheit eröffnet. Der Schweizer Aktienmarkt ist seit 2011 stark in die Höhe geschnellt und war inzwischen relativ teuer. Trotz der Talfahrt der vergangenen Tage ist die Schweizer Börse seit Jahresanfang nach wie vor in allen Währungen außer dem Schweizer Franken der stärkste Markt. Anleger sollten zumindest eine Stabilisierung des Franken abwarten.